Hände hoch und ich schieß

Ich schieße. Bin ich gefährlich? Vielleicht eine Jägerin, die auf der Suche nach einem bestimmten Objekt ist? Was zeigt mein Schussobjekt auf? Will ich mich beweisen? Schieße ich einfach alles ab, das ich sehe, oder schränke ich mich auf einen gewissen Rahmen ein? Noch nie schoß ich mit einem Gewehr auf ein bestimmtes Objekt und trotzdem bin ich ein Held im Schießen- mit der Kamera.

Ein Artikel der Broschüre „Mit kolonialen Grüßen“ von glokal veränderte meine Denkweise zu dem Thema Fotografie in Ländern des globalen Südens. Dieser Text erläutert, mit welchem Blickwinkel „wir vom globalen Norden“ in „Entwicklungsländern“ fotografieren.

Während meinem sozialen Jahr in Simbabwe packe ich täglich Erinnerungen und Erfahrungen in meinen Koffer, der mich ab Juli auch in Österreich begleiten wird. Hauptsächlich trage ich diese Bilder im Kopf. Manchmal jedoch drücke ich auch den Knopf meiner Kamera, damit mich Erfahrungen an bestimmte Erlebnisse erinnern. Wie ich diese digitalen Dateien auf Papier sehen kann, entscheide ich selbst.

Die bereits erwähnte Broschüre hat mir meine Denkweisen zu diesem Thema eins zu eins widergegeben und ließ mich meinen kolonialen Gedankengang realisieren. Ich bin mir fast zu 100% sicher, dass ihr alle erwischt werdet:

Fotos und Filme werden im Allgemeinen als Beweise dafür gesehen, dass ein Ereignis tatsächlich so stattgefunden hat – wir können unsere Erzählungen damit belegen. Dabei vergessen wir oft, dass auch Fotos kein Abbild einer objektiven Realität sind. Der Ausschnitt der Realität wird allein von dem_der Fotograf_in/Filmenden aufgrund bestimmter Beweggründe und Vorannahmen ausgewählt. Interes­sant ist auch, nicht nur zu überlegen, warum ich was fotografiere, sondern auch, warum ich bestimmte Dinge nicht abbilde. Wenn ich z.B. in einem asiatischen oder afrikanischen Land immer nur Szenen in dörflicher Umgebung ablichte, aber nie städtisches Leben, blende ich die Existenz der städtischen Realität aus und repro­duziere das vorherrschende Stereotyp Asien/Afrika = dörflich, „traditionell“ und naturverbunden.

Ein praktisches Beispiel meinerseits:

Das erste Foto zeigt Hütten, die mir „afrikanisch“ erscheinen. Daher erzähle ich auch viel von diesen Gebäudearten in Makumbi. Dass aber die Häuser, die tatsächlich auf der Missionsstation stehen und nicht außerhalb zu finden sind, aussehen wie das rechts abgebildete Foto, entspricht ja nicht meinen Vorstellungen von „Afrika“. Also blende ich diese aus.

So konnte man auch in einem meiner veröffentlichen Zeitungsartikeln meine Worte des romantisierten Makumbis lesen: „Stellt euch ein kleines, idyllisches, afrikanisches Dorf vor, das von vielen Bergen und weiten gelben Grasfeldern umgeben ist, wo orange Hütten mit Strohdach stehen und die Menschen über dem Feuer kochen, wo die Sonne jeden Abend wie ein leuchtend roter Ball untergeht, wo man Sonntags jeden Dorfbewohner in der Kirche trifft und das Trinkwasser in Kübeln geholt werden muss.“ Nun schäme ich mich sogar ein wenig für diese Wortwahl und Beschreibung. Makumbi hat verleiht zwar einen idyllischen und „tief afrikanischen“ Eindruck, aber die Missionsstation steht zur Zeit vor finanziellen Schwierigkeiten und auch die Bewohner Makumbis leiden unter schweren Situationen. Meiner Beschreibung nach müsste man außerdem die Dörfer um Makumbi besuchen, um diese Bilder auch wirklich in der Realität entdecken zu können. Die beschriebene Idylle trügt nochdazu...

Zurück zu der Broschüre „Mit kolonialen Grüßen“: Bilder haben in ihrer medialen Allgegenwärtigkeit und ständigen Wiederholung eine große Macht. Bestimmte Bilder knüpfen an unsere Erinnerungen und an Unbewusstes an, werden eher auf der Gefühlsebene verstanden und sind somit oftmals noch einprägsamer als Worte und Sprache. Die von uns gemachten Fotos und Filme sind immer auch beeinflusst durch in Deutschland/Österreich/der Schweiz vorherrschende Bilder, Vorstellungen und Fantasien, die unseren Alltag prägen. Habt ihr schon mal darauf geachtet, wie Länder und Menschen des Globalen Südens in Filmen, Büchern, Zeitungsartikeln, auf Werbeplakaten und nicht zuletzt in Spendenwerbung dargestellt werden und in welchem thematischen Kontext sie wiederholt auftauchen? Wenn wir reisen, laufen unsere Eindrücke durch diesen von zuhause geprägten Filter. Das Suchen und Wiederauf­finden bekannter Bilder übt eine große Anziehung auf uns aus. Viele Reisende fotografieren fast ausschließlich das, was sie schon aus Reiseführern, Medien, Werbung oder Urlaubsfotos von anderen kennen: Sehenswür­digkeiten, in Szene gesetzte Armut und Motive, die ihre Sehnsucht nach „Exotik“ Und Romantik stillen. Massai und Sonnenuntergänge in Kenia (am besten mit Giraffen am Horizont); freilaufende Kühe, das Taj Mahal, Yogis oder Frauen in Saris in Indien; Berge und Menschen mit Mützen, Decken oder Lamas in Bolivien; eine Sand­düne mit einem Baum davor in Namibia – dies sind nur einige Beispiele einer Liste immer wieder fotografierter Motive. Eine Bildersuche im Internet zeigt deutlich, dass die jeweiligen Motive nur sehr geringe Variationen aufweisen. Letztendlich folgen wir in unserer bildlichen (wie schriftlichen) Darstellung des Globalen Südens oftmals vorgefertigten Bildern und reproduzieren diese dadurch.

Ganz genau! Die Autoren dieser Broschüre lesen meine unbewussten Gedanken. Auch ich fotografiere liebend gerne die leuchtende Sonne in der romantischen Abendstimmung:

Dass es aber auch Abende gibt, an denen die Farben der Sonne wortwörtlich untergehen (siehe Foto rechts), erzähle ich doch nicht. Sonst glaubt ja noch einer, ich bin nicht in Afrika.

Ein weiteres Beispiel:

Natürlich veröffentliche ich lieber die „afrikanischen Tänzer“ auf der rechten Bildseite, als die Jugendlichen, die links zu sehen sind. Sind wir denn in „Österreich“? Ich will doch das naturverbundene und traditionelle Afrika kennen.

Der nun zitierte Absatz dieses herausragenden Artikels schaffte es, dass ich all meine in Simbabwe geschossenen Fotos durchstöberte und mit den thamtisierten Hintergedanken betrachtete.

In der westlichen Vorstellungswelt stehen Gesellschaften des Globalen Südens für eine Art menschlichen Urzu­stand, für den Beginn menschlicher „Entwicklung“. Erst wenn diese sich vermeintlich ursprünglich geben, d.h. nicht westlich-modern, meinen viele Reisende aus dem Globalen Norden, das wirklich Wahre zu erleben; oftmals wollen wir unsere eigenen Abenteuer- und Entdeckungs­ansprüche befriedigen und zeigen, dass wir uns jenseits der touristischen Pfade bewegen. In Bildern zeigt sich das oft durch die bewusste Auswahl eines Bildausschnitts:

Mit Kindern spiele ich Ball. Der Hintergrund: grün und verwachsen- im sogenannten „Busch“. Macht die Kamera jedoch eine 360 Grad-Drehung, sieht es gleich ganz anders aus. Auf einmal hat jemand, der im Busch wohnt Autos und ein großes Haus.

Ich verstärke also „afrikanische Stereotype“, indem ich meinen Urvorstellungen von Afrika nachgehe: der leuchtende Sonnenuntergang, die „traditionellen“ Tänzer und die runden Hütten mit Strohdach. Die Jugentlichen, die eigentlich genauso feiern wie „wir in Österreich“ fanden in meiner Vorstellung von Afrika keinen Platz.

Ich würde mich nach all meinen Durchsuchungen von geschoßenen Fotos als Jägerin bezeichnen. Als Jägerin, die wählerisch mit ihren Zielobjekten umgeht. Durch Filme, Zeitungen, Werbungen und hauptsächlich die Gesellschaft wird mir das Bild vom „typischen Afrika“ vorgelegt. Mit gewissen Vorstellungen reise ich in verschiedene Länder. Nach Südafrika flog ich zum Beispiel mit der Erwartung, Elefanten auch außerhalb der Nationalparks anzutreffen, da ich Fotos von einem dieser großen Tiere auf einer Straße sah. Dass man die Straße in dem bekannten Krüger Nationalpark vorfindet, war für mich von Österreich undenkbar. Vor Simbabwe dachte ich, Makumbi wäre naturbelassener, da ich von früheren Volunteers orange Hütten mit Strohdach sah. Ich war also beeinflusst von Fotoausschnitten. 

Wenn ich aber meine Fotos von Simbabwe betrachte, muss ich mich selbst an der Nase nehmen. Auf mehr als der Hälfte der Bilder kann man„typisch afrikanische“ Objekte, Menschen oder Landschaft sehen. Wann zeige ich, dass Afrika (eigentlich ja Simbabwe) auch modern ist? Dass viele Simbabweaner auf einem Herd kochen? Dass Einige Autos besitzen? Dass diese orangen „idyllischen“ Hütten von innen gar nicht so idyllisch sind? Afrikas Armut ist nicht zu romantisieren. Ich bin mir dieser Gedanken bewusst und behalte den Artikel, der mich kolonial grüßte beim Fotografieren nun definitiv im Hinterkopf.
Solltet ihr ähnliche Gedanken haben und bei Reisen in den globalen Süden vorherrschende Stereotype reproduziert, ihr nur Armut und Naturverbundenheit dieser Länder sehen wollt oder aus Fotografien bestimmte Bildausschnitte herausnehmt, dann wünsche ich euch, dass ihr nicht nur behutsam mit diesen Dateien umgeht, sondern auch die Worte dieses Artikels im Hinterkopf behaltet.